Dienstag, 19. Juli 2011

Der Militärfan


Karikatur von Klaus Heilmann, http://www.kunstmalstudio.de/

Unter all den auffälligen Originalen zählt er zu den einprägsamsten: der Militärfan. Seine Ankunft fällt bereits durch seinen Wagen auf, meist ein alter Jeep, Kübelwagen oder ein ähnlich geartetes Gefährt militärischen Ursprungs, natürlich in der originalen Tarnbemalung begleitet von derber Marschmusik, die aus seinem Innern stampft. Dem Wagen entsteigt eine muskulöse drahtige Erscheinung, die man jedoch wegen des Tarnanzuges, der Springerstiefel und des durch schwarze Schminke verschmierten Gesichts nur schwer vor dem Hintergrund der Umgebung wahrnehmen kann. Lediglich ein kleiner unbedeckter Teil seines gestählten Astralleibes lässt ihn erkennen, denn gleichgültig, wie warm oder kalt es ist, trägt er ein den Oberkörper und den Bizeps hervorhebendes Muskel-T-Shirt, auch dieses, wie der Rest seiner Kleidung, selbstverständlich in Tarnfarben. Seine Hose ist kerzengerade mit einer Bügelfalte versehen. Damit diese selbst im harten Kampfeinsatz dauerhaft bleibt, wurde sie wohl auf einer Nähmaschine mit einem Kreuzstich verstärkt. Auf seinen Oberarmen prangen Totenschädel, die einen Stahlhelm tragen, darüber steht jeweils unübersehbar der Spruch „Born to kill!“ Mit einem MG unter dem Arm und einem braunen Band um den Kopf würde Rambo vor Neid erblassen.
Als wäre seine Erscheinung nicht bereits grotesk genug, ertönt aus seinem Mund aber keine tiefe Stimme, sondern etwas völlig anderes. Wahrscheinlich gibt es kaum jemanden, der das Theaterstück von Freddie Frinton „Dinner for one“ nicht mindestens einmal im Leben gesehen hat. Statt der durchdringenden Stimme des Admiral Bon Snyder stelle man sich nun die hohe Fistelstimme des Mister Pommeroy vor.
„Guten Tag Kameraden“ ist die Begrüßung, die mit ohrenbetäubender Stimme über den Platz piepst.
„Wer ist denn hier der Flugleiter und wo finde ich ihn?“
„Ich bin der Flugleiter“, antwortet eine Stimme aus dem Hintergrund.
Im Stechschritt nimmt er nun Kurs auf den Verantwortlichen, baut sich vor ihm in Grundstellung auf und fragt: „Wetter ist prima, wollte mal wieder ein paar Flugrunden drehen, geht das in Ordnung?“
Während bei diesen Worten die ersten Fliegerkollegen zusammenzucken, antwortet der Flugleiter: „Na klar, trag Dich hier einfach in das Flugbuch ein, dann kannste loslegen.“
Begleitet von einem gepiepsten „Jawoll!“ trägt er sich nun mit dem Kugelschreiber im Tarndesign ein.
Von jetzt an bewegt er sich nur noch im Laufschritt. Als nächstes holt er seinen Klappspaten und hebt an der Stelle, wo seine Flieger stehen sollen, zunächst ein Loch aus. Der zusammensteckbare Fahnenmast wird darin verankert und ein CD-Spieler daneben gestellt. Auf beiden ausgestreckten Armen wird nun die Deutschlandfahne geholt, dem Abspielgerät die deutsche Nationalhymne entlockt und dabei mit allen militärischen Ehren die Fahne gehisst. Für den Fall, dass zu wenig Wind die Fahne von dem Entfalten abhält, ist ein kleiner 12 Volt Kompressor vorgesehen, der ständig für genügend Luftströmung sorgt. Der Abstellplatz wird abschließend mit S-Draht gesichert, ein Schild warnt ungewünschte Eindringlinge wie auch bei einer Kaserne vor den Konsequenzen:


Militärischer Sicherheitsbereich!
Unbefugtes Betreten verboten!
Vorsicht Schußwaffengebrauch!

Innerhalb des Sicherheitsbereiches baut er kleine Zinnsoldaten martialisch mit Gewehr im Anschlag als Wachen auf. Zur Sicherung des Luftraumes entstehen zunächst rund um den Abstellplatz mehrere Flugabwehrraketenstellungen zur Abwehr niedrig und hoch anfliegender feindlicher Flugkörper und Bomber. Es folgt eine Kommandozentrale für die Koordinierung der Lufteinsätze und Luftabwehr-maßnahmen. Hier finden wir auch einen provisorischen militärischen Abschirmdienst sowie eine Aufklärungseinheit, die letztlich dem Schutz der inneren soldatischen Einsatzbereitschaft dienen. Die Kommandozentrale darf natürlich ebenso wenig ungeschützt bleiben und wird daher durch einen kompletten Sicherungszug bewacht. Ein Waffen- und Materialdepot, eine Fahrbereitschaft mit PKW- und LKW-Fuhrpark, nicht zu vergessen eine komplette Fernmeldeeinheit, um die Verbindung untereinander und zu übergeordneten Dienststellen zu halten sowie eine Ausbildungseinheit, in der die neuen Rekruten für die speziellen Anforderungen zum Schutz des Luftraumes ausgebildet werden, runden diese gesamte militärische Einrichtung ab. Etwas abseits Richtung neun Uhr entsteht aus Gründen der Dezentralisierung eine Instandsetzungseinheit, dort befindet sich auch das Abwehrbatallion für atomare, biologische und chemische Kampfstoffe (kurz : „ABC- Abwehreinheit“). Richtung drei Uhr ebenfalls dezentralisiert entsteht die Luftwaffenwerft. Hier ist der Koordinierungsstab stationiert, der im Frieden die Verbindung zum Bundesverteidigungsministerium und im Verteidigungsfall zum Bundeskanzler sowie den Natodienststellen hält.
Erst nach diesen sorgfältigen Sicherungsmaßnahmen beginnen die eigentlichen Flugvorbereitungen. Aus seinem Wagen entnimmt er zwei selbstgebaute detailgetreue Warbirds, keine Frage, dass als Ursprungsland nur ehemalige deutsche Flugzeuge zum Einsatz kommen: eine ME 109 und eine FW 190. Auf den Rumpfseiten prangen jeweils fünf Kreuze für gelungene Abschüsse. Lediglich das deutsche Waffenrecht hielt ihn davon ab, die eingebauten MG´s und abwerfbaren Bomben funktionsfähig zu machen. So imitieren leider nur Frequenzgeneratoren die Geräusche der hämmernden Maschinengewehre und der beim Einschlag explodierenden Sprengkörper.
Nach den erfolgreich abgeschlossenen Startvorbereitungen baut er sich innerhalb seines Sicherheitsbereiches auf und verliest die militärische Lage:
„Rotland hat unmittelbar an den Grenzen zu Blauland massive motorisierte Verbände aufgefahren. Erste Sabotageakte im grenznahen Blaulandgebiet wurden bereits festgestellt und nehmen zu, es ist mit dem unmittelbaren Ausbruch von gewaltsamen Militäraktionen und Fliegerangriffen zu rechnen. Als Sofortmaßnahme ist die unmittelbare Mobilmachung durchzuführen, das heißt für unseren Kampfverband, die Herstellung der Abwehrbereitschaft eindringender feindlicher Kampfflieger.“
Bei diesen Worten zucken weitere Fliegerkollegen zusammen und die ersten Verziehen sich bereits in die Büsche zur plötzlichen Verrichtung der Notdurft, denn aus ähnlichen Auftritten wissen sie bereits, was nun auf sie zukommt.
Unser Militärfan verlässt seinen Sicherheitsbereich, tritt in die Mitte des Abstellbereiches und verkündet: „Kameraden, ihr habt es gehört, kriegerische Handlungen stehen unmittelbar bevor. Möchte ein Lufkampfszenario üben, wer will dabei mitmachen?“
„Du, Wilhelm, lass mal, mein Motor will heute nicht laufen…“
„Das Einziehfahrwerk von meinem Modell klemmt…“
„Ich habe vergessen, die Akkus zu laden…“
„Das Querruderservo ist ausgefallen…“
Solche und ähnliche Antworten der wenigen noch anzutreffenden Fliegerkollegen beeindrucken Wilhelm wenig: „Kameraden, die Lage ist wirklich ernst, sollten immer auf einen Angriff vorbereitet sein, also wer wagt es?“
Ein noch junges Vereinsmitglied und pfiffiger Heißsporn erklärt sich trotz der zugeraunten Warnungen bereit, sich auf einen Luftkampf einzulassen. Als wenn er es geahnt hätte, hat er passenderweise heute seine Spitfire dabei.
„Vielleicht hat er ja Glück“, denken diejenigen bei sich, die in der Vergangenheit eine solche Herausforderung bereits einmal angenommen haben, „er ist ja recht flink mit seinem Flieger, riskiert auch bei Maximalgeschwindigkeit niedrigste Vorbeiflüge und beherrscht auch ansonsten sein Modell“.
Nur mit wenigen Metern Abstand voneinander starten unsere beiden Kontrahenten und kaum in der Luft beginnt eine wilde Verfolgungsjagd. Immelmann-Turn, Wegtauchen nach unten nach oben, links und rechts, direkter Angriff durch Kollisionskurs, verwegener und spektakulärer konnte ein Luftkampf kaum sein. Doch nach ca. 10 Minuten endet dieser wegen leerer Tanks unentschieden.
„Gut gekämpft, aber wollen wir die Entscheidung?“ fragt Wilhelm nach der Landung seinen jungen James E. Johnson (Anmerkung: James E. Johnson war der erfolgreichste Jagdflieger der RAF während des zweiten Weltkrieges mit 36 bestätigten Abschüssen).
„Na klar, und diesmal zeige ich dir, wo der Frosch die Locken hat!“
Auf diesem Stand kehren beide zum Auftanken zu ihren Abstellplätzen zurück. Wilhelm gibt inzwischen die neue Lage bekannt: „Dem Eindringen feindlicher Luftkräfte konnte begegnet werden, es gelang jedoch nur kurzzeitig, eine Luftüberlegenheit zu erkämpfen. Weitere gegnerische Angriffe sind jedoch zu befürchten. Ziel zukünftiger Operationen muss die Erringung der Luftherrschaft sein, die sofortige Einsatzbereitschaft wird daher weiterhin aufrecht erhalten.“
Unser junges Fliegerass hört noch immer nicht auf die Warnungen seiner Fliegerkollegen.
„Ich hätte ihn fast gehabt, beim nächsten Mal werde ich erfolgreich sein.“
Bevor die beiden Kontrahenten wieder an den Start gehen, greifen sie zur psychologischen Kriegsführung. Wie vor einem Boxkampf stehen sie sich gegenüber und blicken sich gegenseitig in die Augen. Da unser Wilhelm etwas kleiner geraten ist, kommt er nicht umhin, sich dazu auf seinen tragbaren Feldherrnhügel zu stellen. Starren Blickes mustern sie sich, den Atem des Gegners unmittelbar vor der Nase, die Spannung zwischen den beiden ist fast spürbar, unüberhörbar ist das Knirschen der zermalmenden Zähne.
Nach wenigen Stunden mischt sich der Flugleiter ein: „Ich möchte ja nicht unhöflich erscheinen, aber wenn ihr so weiter macht, werdet ihr von unbemerkt eindringenden feindlichen Angreifern überrollt werden.“
Da das keiner der beiden Kontrahenten zulassen möchte, stehen die zwei Luftkämpfer kurze Zeit später in der gleichen Startposition wie zu Beginn.
Die Gashebel werden nach vorne gestoßen. Sofort jaulen die Motoren auf und die Maschinen beschleunigen, binnen Sekunden befinden sich beide Kampfflugzeuge wieder in der Luft.
Auch der letzte Fliegerkollege hat nun seine Notdurft verrichtet und gemeinsam beobachten alle das Treiben am Himmel.
Wilhelm ist nun zur Kamikaze-Taktik übergegangen und versucht durch einen gezielten Zusammenprall, die Entscheidung zu erzwingen. Plötzlich hängen beide Maschinen in einem senkrechten Steigflug kurz aneinander, unser junger Johnson verliert seine Kabinenhaube und der Motor seiner Spitfire bleibt stehen. Das ist die Gelegenheit für Wilhelm, die Luftherrschaft scheint in greifbarer Nähe zu sein, doch seine ME 109 ist wohl auch getroffen worden, denn irgendetwas stimmt mit dem Flügel nicht. Dessen ungeachtet holt Wilhelm trotzdem weit aus und lässt seine Maschine aus größerer Höhe auf die segelnde Spitfire stürzen, die Kollision ist kaum noch zu vermeiden. Aber dazu kommt es nicht mehr, denn plötzlich reißt der Flügel der ME 109 ab und wie ein Geschoß beschleunigt der Rumpf durch den immer lauter heulenden Motor und schlägt senkrecht in den Boden ein, kurze Zeit später gefolgt vom Flügel, der sich fröhlich drehend und schwankend etwas mehr Zeit gelassen hat. Währenddessen bringt unser junger James E. Johnson seine angeschlagene Spitfire unter dem tosenden Applaus seiner Fliegerkollegen sicher wieder nach Hause. Er und seine Spitfire werden auf Händen getragen zum Startplatz zurückgebracht. 

Hingegen ist unser einst so stolzer Wilhelm nun zu einem Wilhelmchen zusammen-geschrumpft, kleinlaut sammelt er die zum Teil pulverisierten Reste seiner ME 109 ein, dabei gibt er piepsend die letzte Lage bekannt:
„Die feindlichen Luftstreitkräfte haben uns durch massive Angriffe schwere Verluste zugefügt. Vorrangiges Ziel muss es nun sein, durch Friedensverhanglungen weitere Zerstörungen im Rahmen zu halten und den Bestand der eigenen Jagdflugzeuge wieder aufzubauen.“
Und während Wilhelmchen mühsam versucht, die Etikette zu wahren, indem er noch mit allen militärischen Ehren die Deutschlandfahne wieder einholt, seinen militärischen Sicherheitsbereich auflöst sowie die Reste in seinen Wagen verfrachtet, malt unser junger James E. Johnson stolz und mit großer Sorgfalt sein erstes Kreuz auf seine Spitfire

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